Magento hat gestern offiziell bekanntgegeben, dass es Ende 2018 kein Ende des Supports für die auslaufende Produktversion Magento 1.x geben wird.

Magento announces ongoing Magento 1 Support
(from https://magento.com/blog/magento-news/ongoing-magento-1-support; image removed for better readability)
Der Support ist damit erstmal auf unbestimmte Zeit gesichert. Magento verpflichtet sich, ein in Zukunft möglicherweise doch kommendes Ende des Supports mindestens 18 Monate vorher anzukündigen.
Strategiewechsel bei Magento
Das ist insofern überraschend, als dass seit 2015 mehrfach offiziell kommuniziert wurde, dass das End Of Life (EOL) am 18. November 2018 erfolgen werde, also drei Jahre nach der Veröffentlichung von Magento 2.0. Interessanterweise gab es nie eine zitierbare Aussage dazu, beispielsweise auf der Website magento.com oder in einer Pressemitteilung, dafür aber mehrere Ankündigungen in Vorträgen durch Ben Marks und andere Magento-Offizielle, wie Alan Storm beispielsweise dokumentiert hat. Ab diesem Zeitpunkt sollte es keine Sicherheitsupdates für Magento 1 mehr geben. Für viele Kunden der Magento Enterprise Edition viel gravierender: es sollte auch keinen offiziellen Support mehr geben. Was mit zu diesem Zeitpunkt noch laufenden Magento-1-Enterprise-Shops geschehen sollte, war aus lizenzrechtlicher Sicht ebenfalls unklar.
Aus Sicht von Magento Inc., der Firma hinter der Shopsoftware, war ein festes EOL von Magento 1 eine nachvollziehbare Maßnahme, um die Adaption der neuen Version Magento 2 zu steigern. In vielen Fällen war das auch erfolgreich – vor allem größere Shops werden fast nur noch mit Magento 2 umgesetzt, und laufende Magento-1-Shops werden sukzessive auf die neue Version migriert bzw. neu umgesetzt. Hier erweisen sich vor allem die Partner-Agenturen von Magento als treibende Kräfte.
Aus der Sicht der Shopbetreiber
Für viele Shopbetreiber ist der Umstieg auf Magento 2 jedoch aktuell nicht möglich, auch wenn es aus technischer Sicht wünschenswert wäre:
- Viele kleinere Shopbetreiber werden das mindestens fünfstellige Budget für den Umstieg auf Magento 2 nicht aufbringen können oder wollen.
- In viele Magento-1-Shops (Community Edition und Enterprise Edition) ist in den letzten Jahren sehr viel Aufwand in Form von individueller Weiterentwicklung geflossen, teilweise im Umfang mehrerer Entwicklerjahre. Ein Umstieg auf Magento 2 würde bedeuten, einen Großteil davon erneut entwickeln zu müssen, da eine Migration technisch nur sehr eingeschränkt möglich ist. Das ist für viele Shopbetreiber häufig aus personeller Hinsicht schon nicht kurzfristig zu stemmen.
- Das Know-How vieler Entwickler ist in Magento 2 noch deutlich kleiner als in Magento 1; gleichzeitig sind die Hürden in die Einarbeitung gestiegen. Das führt dazu, dass die Kapazität der Agenturen, Freelancer und Inhouse-Entwickler momentan bei weitem nicht ausreicht, einen Großteil der aktuellen Magento-1-Shops bis Ende 2018 auf Magento 2 umzustellen.
Die Alternativen der davon betroffenen Shopbetreiber sind allesamt nicht ideal:
- Der forcierte Umstieg auf Magento 2 unter mangelnden Resourcen (Know-How, Entwickler und/oder Budget) dürfte in vielen Fällen zu einem suboptimalen Ergebnis und damit zu Umsatzeinbußen für einige Shopbetreiber führen.
- Für manche Shopbetreiber könnte der Umstieg auf eine andere Shopsoftware eine kostengünstigere Lösung als der Umstieg auf Magento 2 sein.
- Viele Shopbetreiber werden ihren Shop trotz des EOL weiter betreiben. Dies wird mittelfristig ein großes Problem im Hinblick auf Sicherheit und Datenschutz darstellen.
Die Reaktion von Magento
Das EOL von Magento 1 war auf der Meet Magento DE, die letzte Woche in Leipzig stattfand, aus vielerlei Hinsicht eines der beherrschenden Themen, was auch den zahlreichen anwesenden Mitarbeitern von Magento Inc. nicht entgangen ist, inkl. dem erstmals anwesenden CEO Mark Lavelle. Hier dürfte auch die unterschiedliche Mentalität eine Rolle spielen: Die USA sind im Allgemeinen deutlich technik- und fortschrittsfreundlicher eingestellt, während speziell in Deutschland die Skepsis häufig überwiegt. Das führt dazu , dass in den USA das Problem mit der langsamen Adaption von Magento 2 deutlich kleiner wahrgenommen wird (möglicherweise auch ist) als beispielsweise in Deutschland. Gleichzeitig hält man sich in Deutschland mit Kritik deutlich weniger zurück.
Ein möglicher Anstoß war auch das Aufkommen verschiedener Initiativen, aus dritter Hand die Pflege von Magento zu übernehmen. Bei Erfolg einer dieser Initiativen hätte Magento Inc. ein Stück weit die Kontrolle über das eigene Image abgeben müssen – durch die erfolgte Ankündigung wurde den Initiativen ein Großteil des Windes aus den Segeln genommen.
Um ein drohendes Imagedesaster für viele Magento-1-Händler abzuwenden, ist meiner Meinung nach die Verlängerung des Supports für Magento 1 der richtige Schritt, auch wenn es den Umstieg auf Magento 2 in manchen Fällen etwas ausbremsen dürfte. Das ist ärgerlich für Early Adaptors, die sich frühzeitig mit der neuen Technologie beschäftigt haben, aber wichtig für einen Gutteil der Händler, die einen Umstieg bis Ende 2018 aus unterschiedlichen Gründen nicht geschafft hätten, und damit auch gut für das Image von Magento und das Ökosystem.
Aus technischer Hinsicht ist Magento 2 sicherlich das ausgereiftere und zukunftsfähigere System, auch wenn es zurzeit noch einige Macken und Kinderkrankheiten gibt und es in manchen Punkten deutlich zu kompliziert geraten ist. Als technischer Dienstleister werden wir daher neue Shops nur noch mit Magento 2 umsetzen, wie wir es bereits seit einer Weile tun. Auch da das Support-Ende von Magento 1 jederzeit mit einer Frist von 18 Monaten angekündigt werden kann, empfehlen wir, keine neuen Shops mit Magento 1 umzusetzen.

Autor: Andreas von Studnitz
Andreas von Studnitz ist Diplom-Informatiker, Magento-Entwickler und Geschäftsführer von integer_net. Seine Schwerpunkte sind Entwicklung, Beratung und die Durchführung von Schulungen. Er ist Magento 2 Certified Professional Developer Plus und hat darüber hinaus weitere Magento Zertifizierungen für Magento 1 und Magento 2. Sowohl im Jahr 2019 als auch 2020 wurde Andreas als Magento Master in der Kategorie „Mentor“ ausgezeichnet.
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